Matrix

Welche Wahrheit?

»Dass du ein Sklave bist. Du wur­dest wie alle in die Skla­verei geboren, und lebst in einem Gefängnis, das du weder anfassen noch rie­chen kannst. Ein Gefängnis für deinen Verstand!«

1999 schrieben die Brüder Wachowski mit „The Matrix“ Film­ge­schichte. Die Inspi­ra­tion des Tanz­thea­ters durch den Film bzw. die Film­tri­logie ist nicht zu leugnen.

„The Matrix“ führt uns in das 22. Jahr­hun­dert. Die Welt wird von Maschinen beherrscht. Der Mensch funk­tio­niert nur noch als Ener­gie­spender für die über­mäch­tige Maschi­nerie. Die reale Welt wurde durch eine von Com­pu­tern gene­rierte und von Agenten bewachte, vir­tu­elle Matrix ver­drängt, in der die Mensch­heit nach klar definierten Regeln künstlich, jedoch zumeist nichts ahnend wei­ter­lebt. Die Bewohner Zions, dem letzten Zufluchtsort tief im Erdinneren, leben in der Hoffnung und auf der Suche nach dem Aus­er­wählten, der die Befreiung der Mensch­heit beginnen wird. Gespickt mit reli­giösen Meta­phern und bahn­bre­chenden Kame­ra­ein­stel­lungen (bullet-time) fand „The Matrix“ glei­cher­maßen Bewun­derer unter Aka­de­mi­kern und Actionfilm-Fans

Der beson­dere Reiz des Sci­ence Fiction-Genres liegt in der Anbin­dung des Fantastischen/Futuristischen an eine kon­krete gesell­schaft­liche Rea­lität der Gegen­wart. Die Rebel­lion gegen den gesell­schaft­li­chen Kon­for­mismus spielt auch in der Tanztheater-Umsetzung eine maß­geb­liche Rolle. Doch (ver)sucht die Insze­nie­rung nicht den auf­klä­re­ri­schen Pathos Hol­ly­woods zu bedienen.

Die Arbeit mit der Film­vor­lage und der Motion-Tracking-Technologie warf die Frage auf, wie weit wir heute schon in einer Matrix-ähnlichen Welt leben, wie weit unser Alltag von einem, von den Medien mani­pu­lierten, Abbild der Rea­lität bestimmt ist.
Warum funk­tio­nieren wir in einem System, das offensichtlich unzählige Gründe aufweist, es fundamental in Frage zu stellen? Worauf warten wir? Auf einen Auserwählten?

MENSCHMASCHINE

Com­puter werden immer bil­liger und leis­tungs­fä­higer und können als Uni­ver­sal­ma­schine unzäh­lige Auf­gaben bewäl­tigen. Wenn man die Geschichte der Com­pu­ter­spiele betrachtet, dann ist die Erzeu­gung von Grafik und Sound in Echt­zeit schon lange kein Novum mehr. Ebenso eta­bliert ist die Ver­wen­dung von Sen­soren und Kameras im Zusam­men­hang mit Com­pu­tern. Man denke nur an Web­cams, Tas­tatur und Maus.

WAS ABER MACHT DIESE UNIVERSALMASCHINE AUS?

Jeder Reiz, sei es Licht, Tem­pe­ratur oder Klang befindet sich als pure Information auf der Computerebene. Der Maschine ist es egal, wel­chen Begriff wir für diese Information verwenden, es sind einfach nur Zahlen. Als Konsequenz lässt sich auf dieser abs­trakten Ebene alles mit allem ver­knüpfen, ver­kop­peln und beein­flussen. Licht beeinflusst Klang, Klang verändert Bild, Tem­pe­ratur steuert Bewegung.

Der Schlüssel zur krea­tiven Nut­zung dieser Mög­lich­keiten ist Soft­ware als Con­tainer. Diese Soft­ware besteht aus Ideen und Ent­schei­dungen und muß ent­spre­chend der Anwen­dung ent­wi­ckelt werden. Man spricht in diesem Zusam­men­hang häufig von Software-Kunst oder Computational Design.
Die Insze­nie­rung MATRIX nutzt dieses Prinzip als per­for­matives Mittel, indem die Bewe­gungen der Tänzer in Ton und Bild über­setzt werden. Durch den Ein­satz von Kameras und Kör­per­sen­soren wird die reak­tive Gestal­tung von Musik und Visua­li­sie­rung im drei­di­men­sio­nalen Raum ermög­licht. Das Bezie­hungs­ge­füge von Körper, Raum und Zeit erfährt eine neue Definition. Der reale, materiell gegenständliche und der imateriell künstlich geschaffene Raum verschmelzen für den Zuschauer. Ein Erlebnis, das durch die Ver­bin­dung von medialen und dar­stel­lenden Künsten von hoher künst­le­ri­scher Aktua­lität geprägt ist.

Durch die direkte Bezie­hung zwi­schen den Ele­menten ergeben sich jedoch eine Reihe von Pro­blemen, die aus­ge­lotet werden müssen.

Der Tänzer besitzt mit Hilfe dieser Technik nicht nur seine Kör­per­sprache als Aus­drucks­mittel, son­dern muss fort­wäh­rend seine Aktion im Zusam­men­hang mit der medialen Reak­tion über­prüfen. Umge­kehrt ist der Pro­gram­mierer des Sys­tems ver­pflichtet, sinnstiftende Verbindungen zwischen Körper und Medium zu schaffen und gleich­zeitig dem Tänzer keine unmög­li­chen Bewe­gungs­muster zu impli­zieren. Ein wei­teres Pro­blem ist die Trans­pa­renz des Sys­tems, da der Tänzer natür­lich soviel Kon­trolle wie mög­lich besitzen möchte, aber diese Mög­lich­keiten ab einer kri­ti­schen Masse für den Zuschauer nicht mehr nach­voll­ziebar sind. Inwie­weit agiert das System eigen­ständig und impro­vi­siert auf Grund­lage von vor­ge­ge­benen Mus­tern? Wie­viel Ein­fluß hat der Tänzer und wie enspricht dieses Ver­hältnis der Inten­tion des Choreografen?

Für den Pro­gram­mierer, Cho­reo­graf und Tänzer besteht des­halb die künst­le­ri­sche Her­aus­for­de­rung, eine Balance zwi­schen Kom­po­si­tion und Impro­vi­sa­tion zu finden. Die Entwicklung einer Szene ist prozesshaft und ausdrücklich nicht planbar, da Erfah­rungs­werte in der Benut­zung dieses Mit­tels fehlen.

Die zen­trale Frage des Expe­ri­ments jedoch bleibt: Hat der Tänzer die Frei­heit, die geschaf­fene Welt durch seine Bewe­gungen zu beein­flussen – oder bestimmt doch das System die Spielregeln?

Pre­miere:
09. September 2005 Ostseestaal-Halle Stralsund

Idee & Cho­reo­gra­fie: Stefan Hahn

Tanz:
Solisten: Maik Rie­bort, Julia Gläser, Bern­hard Urbach, Mathias Berndt, Peter Kramer, Tuan Anh Nguyen, Karl Pom­merenke, Paul Wach­holz

Perform[d]ance Ensemble: Hen­ri­ette Ahrendt, Anna Hei­den­reich, Carlis Horn, Lisa Müller, Marie Koll, Judith Pie­sche, Ulrike Schmurr, Julia Steffan, Juliane Strelow, Marie Stuchlik, Dajana Voß

Schü­le­rinnen der IGS-Grünthal: Maria Beug, The­resa Ges­sert, Grit Holz, Fran­ziska Karthe, Sarah Rei­necke, Christin Sagert, Sandra Scharf, Julia Weide

Live-Musik: Musi­ka­li­sche Lei­tung Wie­land Möller, Jens Riedel, Trommel mit! Mareike Grams, Pit-Willi Lorenz, Ines Lorenz, Mar­tina Rittner, Gudrun Sieber, Felix Trende, René Wendt
Licht­de­sign & Licht­technik: Robby Hirche
Ton: Chris­tian Malejka
Inter­ac­tive System Design: Chris­tian Engler
Sound­de­sign: Chris­tian Meinke
Technische Pro­duk­ti­ons­lei­tung: Robert Dahlke
Bühne: Frank Sei­fert, Thomas Komm
Grafik-Design & Fotografie: Richard Rocholl
Video: Wir machen Bunt. Kiel
PR & Fund­rai­sing: Dörte Wolter
Admi­nis­tra­tion & Orga­ni­sa­tion: Susan Frömmel
Doku­men­ta­tion: Stefan Kirste